Chaplins Residenz und Resilienz

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Diesen Sommer besuchte ich zum ersten Mal «Chaplin’s World», das 2016 eröffnete Museum in Corsier-sur-Vevey. Im Zentrum des prächtigen Anwesens von nicht weniger als 14 Hektaren befindet sich die denkmalgeschützte Villa «Manoir de Ban», die dem grossen englischen Schauspieler, Regisseur, Produzenten und Komponisten Charlie Chaplin, seiner Frau und ihren Kindern von 1953 bis zu seinem Tod im Jahr 1977 als Wohnsitz diente. Der Rundgang durch die vom französischen Architekten Philippe Franel entworfenen Räumlichkeiten lässt einen eintauchen in die mondäne Welt der Chaplins; die verschiedenen Zimmer sind gefüllt mit Möbeln und persönlichen Gegenständen der Familie. Wahrlich eine fürstliche Residenz – und der malerische Park lädt ein zum Promenieren in der Sonne.

Doch da ist noch mehr: Ein zweites zum Museum gehörendes Gebäude, das Studio, ist vollumfänglich dem beruflichen Leben Charlie Chaplins gewidmet und beinhaltet auch einen Kinosaal. Wer sich für die Hintergründe früherer Filmproduktionen interessiert, wird reich belohnt. Besucherinnen und Besucher können sich für Erinnerungsfotos in nachgebauten Kulissen unvergesslicher Szenen aus Chaplins Filmklassikern in Pose werfen. Im umfangreichen Archiv finden sich unzählige Fotos, Drehbuchdokumente, Presseartikel, Briefe, Originalkostüme und selbst Oscars.

Und doch hat in mir etwas anderes in Nachgang zu meinem Besuch am Genfersee noch stärker nachgehallt als die herrschaftliche Residenz und die eindrücklichen Zeugnisse der beispiellosen Karriere eines Mannes, der schon ein Filmstar war, bevor es Hollywood überhaupt gab: Ich meine damit Chaplins aussergewöhnliche Resilienz, die sich entlang seiner Biografie nachzeichnen lässt.

Die Eltern des 1889 geborenen Chaplin waren beide Variété-Künstler. Jedoch trennten sie sich kurz nach seiner Geburt. Der Vater war ein Trinker und starb schliesslich an den Folgen seiner Alkoholsucht. Die Mutter litt an psychischen Problemen und wurde 1905 für geisteskrank erklärt. Schon mit sechs Jahren war Chaplin, zusammen mit seinem Halbbruder Sydney, erstmals in einem Waisenhaus gelandet. Während seiner Kindheit war er oft fast ganz auf sich allein gestellt und trieb sich in den Strassen Londons herum. Es erstaunt daher nicht, dass soziale Themen und Kinderschicksale im späteren Werk Chaplins eine wichtige Rolle einnahmen. Er wusste aus eigener Erfahrung, was es hiess, ganz unten zu sein und nichts zu haben.

Aber offensichtlich hatte dieser Junge ein aussergewöhnliches Talent in sich. Schon als Fünfjähriger war er vor Publikum aufgetreten, mit neun Jahren ging er auf seine erste Tournee mit den «Eight Lancashire Lads». 1908 nahm ihn der berühmte Theaterproduzent Fred Karno unter Vertrag. Rasch stieg Chaplin zu einem der Hauptdarsteller auf. 1910 tourte er durch Nordamerika und drei Jahre später unterschrieb er seinen ersten Vertrag als Schauspieler in der aufstrebenden US-Filmindustrie. Innerhalb weniger Jahre wurde Chaplin zu einem gefeierten Star, seine Gagen erklommen schwindelerregende Höhen. In vielen Biografien ist von einer «Dickens’schen Jugend» die Rede; ähnlich wie beispielsweise ein Oliver Twist machte Chaplin seinen Weg – gegen alle Widerstände. 

Am 15. Oktober 1940 – also rund ein Jahr nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs – feierte Chaplins erster Tonfilm «Der grosse Diktator» Premiere. Die Parodie auf Adolf Hitler (der schicksalshafterweise in der gleichen Woche wie Chaplin auf die Welt gekommen war) und den Faschismus sollte zunächst von der amerikanischen Zensurbehörde verboten werden. Der erklärte Kriegsgegner und Antimilitarist Chaplin wurde vom FBI und den Konservativen mit grösstem Misstrauen beobachtet. 

Im Oktober 1947 musste Chaplin zum wiederholten Male vor dem Komitee für unamerikanische Umtriebe aussagen. FBI-Direktor J. Edgar Hoover, ein erbitterter Gegner Chaplins, wollte ihm die Aufenthaltsgenehmigung entziehen. Chaplin hatte stets seine britische Staatsangehörigkeit behalten. Mit seiner liberalen, staatskritischen und pazifistischen Haltung war er den amerikanischen Behörden ein Dorn im Auge. Auch an seinem Lebenswandel – Chaplin war viermal verheiratet – wurde Anstoss genommen.

Nachdem Chaplin am 17. September 1952 für einen Kurzbesuch nach England abgereist war, um dort der Weltpremiere seines neuen Films «Rampenlicht» beizuwohnen, besorgte Hoover den Widerruf von Chaplins Wiedereinreisegenehmigung in die USA. Schliesslich wurde ihm per Telegramm beschieden, er müsse sich bei seiner Rückkehr wie ein neuer Einwanderer zuerst nach Ellis Island zur Vernehmung begeben, wo dann über seine allfällige Einreise entschieden werde. Das Justizministerium stützte sich dabei auf einen Paragraphen, gemäss dem aus Gründen der «Moral, Gesundheit oder Geistesgestörtheit oder bei Befürwortung von Kommunismus oder der Verbindung mit Kommunisten oder pro-kommunistischen Organisationen» die Einreise verweigert werden konnte. Daraufhin beschloss Chaplin, in Europa zu bleiben – und wurde schliesslich in Corsier-sur-Vevey sesshaft.

Was können wir von Chaplin für uns selbst, vielleicht aber auch mit Blick auf Biografien von Schülerinnen und Schülern lernen? Welche Erkenntnisse oder Botschaften lassen sich aus seinem Werk und Leben ableiten? Vielleicht diese: Schicksalsschläge gehören zu unserem Dasein dazu. Krankheit, Tod und Verlust, Intrigen, Anfeindungen und Niedertracht lassen sich nicht einfach vermeiden, niemand kann ihnen planmässig aus dem Weg gehen. Stattdessen gilt es, damit umgehen zu lernen. Und es gibt immer Hoffnung. Denken Sie an den Tramp, Chaplins legendärste Filmfigur! Wie tief gesunken er auch immer sein mag, wie aussichtslos auch immer sich seine Situation darstellt – stets bewahrt er sich einen Funken Hoffnung; oder gewinnt ihn im Laufe der Geschichte zurück. Wer solcherlei auszustrahlen vermag, der dürfte in der Arbeit mit jungen Menschen nicht auf dem gänzlich falschen Weg sein.

Ich schliesse mit zwei Zitaten Chaplins, die im Museum gut sichtbar an Wänden platziert sind:

«Nothing is permanent in this wicked world, not even our troubles.» 

«You’ll never find rainbows if you’re looking down.»

Roger von Wartburg

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