Factsheet
(Den gesamten Text der Medienkonferenz finden Sie hier.)
Teil 1
Über 1100 Baselbieter Lehrkräfte fordern eine Neuausrichtung der Ausbildung angehender Sekundarlehrerinnen und Sekundarlehrer
Das Komitee „Qualität an den Schulen und in der Ausbildung der Sek I-Lehrkräfte“ unter dem Vorsitz von Otto Schwarzenbach (Sek Oberwil) setzt sich aus LVB-Mitgliedern zusammen und hat in nur zwei Monaten mehr als 1100 (!) Lehrpersonen und Schulleitungsmitglieder aus dem Kanton BL davon überzeugen können, ihr Anliegen zu unterstützen. Dies ist ein höchst aussergewöhnlicher Vorgang!
Hintergrund: Die fachliche Ausbildung der angehenden Sekundarlehrpersonen an der PH FHNW ist bescheiden (nur gerade 23 ECTS-Punkte pro Fach). Durch die Schaffung der im Lehrplan 21 vorgesehenen Kombifächer wie z.B. „Natur und Technik“ (mit Biologie, Chemie und Physik) droht ein weiterer Abbau auf gerade noch 7-8 ECTS-Punkte für diese Teilfächer. Das ist viel zu wenig!
Die drei Kernforderungen der Unterzeichnenden lauten deshalb:
- Die Teilfächer der neuen Kombifächer sollen nur von fachwissenschaftlich adäquat ausgebildeten Lehrpersonen unterrichtet werden (d.h. konkret, dass der Unterricht eines Kombifachs, falls nötig, auf mehrere Personen verteilt werden soll, anstatt unzulängliche Schnellbleiche-Weiterbildungen zu verordnen).
- Der fachwissenschaftliche Anteil der Ausbildung an der PH muss deutlich erhöht werden.
- In der Ausbildung angehender Sekundarlehrpersonen muss jedes Teilfach der neuen Kombifächer als eigenständiges Fach zählen.
Wird die Ausbildung nicht in diesem Sinne angepasst, ist zu befürchten:
- ein herber Qualitätsabbau des Unterrichts
- Sicherheitsrisiken z.B. im praktischen Chemie-Unterricht
- eine nachhaltige Beschädigung des Ansehens des Berufsstandes
- ein grosser Vertrauensverlust der Eltern in die Qualität der Volksschule
Ein möglicher Lösungsansatz aus Sicht des LVB:
Es gibt momentan zwei verschiedene Ausbildungsgänge für angehende Sekundarlehrpersonen: den integrativen (gesamte Ausbildung an der PH) sowie den konsekutiven (fachwissenschaftlicher Bachelor an der Universität, anschliessend didaktische und pädagogische Ausbildung an der PH). Die integrative Ausbildung verlangt fachwissenschaftlich deutlich weniger von den Studierenden und dauert weniger lang als die konsekutive, ausserdem werden Abgänger der konsekutiven Ausbildung in BL lohnmässig tiefer eingestuft, weil sie nur zwei Fächer unterrichten können.
Der LVB schlägt nun vor, die beiden Ausbildungsgänge einander in Dauer und Lohneinreihung so anzupassen, dass sie gleichermassen attraktiv sind. Dabei ist eine gewisse Profilierung der beiden Ausbildungen durchaus erwünscht und würde den Beruf für unterschiedliche Persönlichkeiten interessant machen:
- konsekutive Ausbildung mit stärkerer Gewichtung des fachwissenschaftlichen Anteils (insb. mit Fokus auf die spätere Lehrtätigkeit in den leistungsstärkeren Niveaus)
- integrative Ausbildung mit stärkerer Gewichtung des (heil-)pädagogischen Anteils bei gleichzeitig massgerechter Anhebung des fachwissenschaftlichen Anteils im Vergleich zu heute (insb. mit Fokus auf die spätere Lehrtätigkeit in den schwächeren Niveaus)
Teil 2
Haltung der LVB-Mitglieder zur angekündigten HarmoS-Austritts-Initiative
Der Zuspruch zu HarmoS folgt einem linearen Abwärtstrend:
2006: In BL sagen 91% der Stimmberechtigten Ja zum Harmonisierungs-Verfassungsartikel.
2010: In BL sagen noch 56% der Stimmberechtigen Ja zum HarmoS-Konkordat.
2014: Nur noch 22% der sich an unserer Umfrage beteiligenden LVB-Mitglieder votieren für einen HarmoS-Verbleib.
Die LVB-Geschäftsleitung ist überzeugt davon, dass die inhaltliche Harmonisierung der schweizerischen Schullandschaft weiterhin ein erstrebenswertes Ziel darstellt, auch für die klare Mehrheit seiner Mitglieder. Das überaus deutliche Verdikt der Umfrage aber zieht die Interpretation nach sich, dass…
- eine gewaltige Ernüchterung eingetreten ist über die Art und Weise, wie diese „Harmonisierung“ angepackt wurde.
- in den vergangenen Jahren ein tiefgehender Vertrauensverlust den Verantwortlichen gegenüber stattgefunden hat.
- die Fülle der unter dem Label „Bildungsharmonisierung“ angerissenen Reformen ein bewältigbares Mass überschritten hat und auch inhaltlich von vielen Lehrpersonen nicht (mehr) mitgetragen wird.
- die konkrete Umsetzung von HarmoS als Etikettenschwindel wahrgenommen wird, der zwar „hyperaktiv“ Projekt um Projekt startet, aber das entscheidende Versprechen nicht einlöst: die Beseitigung der Mobilitätsprobleme. Im Gegenteil: Die kantonalen Schulsysteme sind seit 2006 weiter auseinandergedriftet als zuvor!
Für die Bevölkerung ist HarmoS bisher primär ein Kostenfaktor: Die Gemeinden investierten in BL 500 Mio. Fr. für Schulhausbauten, der Kanton bewilligte 13 Mio. Fr. für Umschulungen. Wenn der Gegenwert in Form des versprochenen Abbaus der Mobilitätshindernisse ausbleibt, ist Widerstand auf breiter Front wenig überraschend.
Was ein Austritt aus HarmoS nicht bedeuten würde:
- eine „Bildungsinsel BL“: Das Beispiel Aargau zeigt, wie man auch als Nicht-HarmoS-Kanton den Verfassungsartikel erfüllen kann.
- einen neuerlichen Systemwechsel zurück zu 5/4
- eine Rücknahme der Vorverlegung des Fremdsprachenunterrichts
- eine Aufgabe der integrativen Schulung
Was ein Austritt aus HarmoS ermöglichen würde:
- „Sorgfalt vor Tempo“ nicht nur deklarieren, sondern auch umsetzen, z.B. hinsichtlich der Einführung des Lehrplans 21
- nur jene Harmonisierungs-Schritte mitmachen, die wirklich die Kompatibilität der kantonalen Schulsysteme verbessern
- sinnvolle Detaillösungen realisieren können, z.B. auf die nicht nachvollziehbare Zusammenlegung von Geschichte und Geographie verzichten oder die leistungsschwächsten Schülerinnen und Schüler von einer Fremdsprache entlasten
Für den LVB ist die HarmoS-Türe noch einen Spalt weit offen: Aber BKSD und EDK müssen nun die Bedenken und Kritikpunkte endlich ernst nehmen und zu Kompromissen bereit sein, anstatt die Skeptiker und ihre Anliegen ins Lächerliche zu ziehen oder unmöglich zu machen. Es braucht ein Bekenntnis dazu, dass die genannten Punkte auch mit HarmoS zu realisieren sind. Ausserdem muss sich der Harmonisierungsprozess endlich dem Kernanliegen des Stimmvolkes, nämlich dem Abbau der Mobilitätshindernisse, widmen, anstatt weiterhin auf den „Bildungsmessbarkeitswahn“ zu fokussieren und damit in Zukunft der mächtig gewachsenen Verwaltung noch mehr Beschäftigung zu verschaffen – mit Ressourcen, die dann an den Schulen selber fehlen.
Pratteln, 18.03.2014
Die LVB-Geschäftsleitung